"Bevor es für die Stadtentwicklung zu spät ist..."
Im Diskurs: In Laichingen hat sich ein Bürgerverein gegründet - Das sind Positionen, Wünsche und Ziele
LAICHINGEN - Wie und wohin soll sich die Stadt Laichingen entwickeln? Bei diesem Diskurs gibt es unterschiedliche Meinungen. Vergangenes Jahr hat sich die Initiative Innenstadtkonzept gegründet, um auf ihre Position aufmerksam zu machen. Aus dieser ist nun der Bürgerverein Innenstadtentwicklung Laichingen (BIL) entstanden. Den Vorsitz bilden Karin Schur-Neugebauer und Adelheid Merkle-Stumpp. Im Gespräch mit SZ Redaktionsleiterin Maike Scholz erklären sie Ziele und Absichten.
Im Mai vergangenen Jahres haben Sie, Karin Schur-Neugebauer, gemeinsam mit Adelheid MerkleStumpp, die Initiative Innenstadtkonzept gegründet. Was hat Sie damals dazu bewegt?
Vor über zehn Jahren hat man in Laichingen angefangen, in der Innenstadt große Mehrfamilienhäuser, oft mit Flachdach, neben deutlich kleinere bestehende Gebäude zu setzen. Von Anfang an haben sich die benachbarten Anwohner dagegen gewehrt; mit Einsprüchen und Leserbriefen. Das alles verhallte ergebnislos. So wurde es nötig, sich in einer Gemeinschaft für die fehlende Gesamtplanung und gegen das fehlende Einfühlungsverm.gen gegenüber der Nachbarschaft und des Stadtbildes einzusetzen. Auslöser im Mai 2019 war ein Bauantrag, in der schmalen Schulstraße gegenüber des schon bestehenden Mehrfamilienhauses ein weiteres quaderförmiges Mehrfamilienhaus mit Flachdach bis nahe an den schon schmalen Gehweg zu errichten. Wir appellierten damals in unserem ersten offenen Brief an den Gemeinderat, sofort mit einer Veränderungssperre für dieses Areal, besser noch für die gesamte Innenstadt zu reagieren und schnell einen Bebauungsplan - besser noch eine Stadtbildsatzung - zu erstellen, um nicht mehr weiter nach dem sehr dehnbaren Paragrafen 34 BGB entscheiden zu müssen, was bedeutet, lediglich eine Entscheidung treffen zu können, ob sich das Gebäude einfügt oder nicht.
Welches Ziel verfolgen Sie mit der Initiative, nun mit dem neugegründeten Bürgerverein?
Die Bürgerinitiative mit den Unterschriftenlisten und der Online-Petition war zu dem Zeitpunkt wichtig, um unserem Anliegen schnell Gehör zu verschaffen, bevor es aus unserer Sicht für die Stadtentwicklung Laichingens zu spät ist, und die Stadt geprägt ist von konzeptionslosem Bauen: Ein einmal genehmigtes fünfgeschossiges Gebäude wie das Adlerquartier zieht durch den dann zur Geltung kommenden Paragrafen 34 weitere nach sich. Der mobile Gestaltungsbeirat, der auf das Engagement der Initiative hin noch kurz vor der Bauausschuss- Entscheidung bezüglich der Schulstraße hinzugezogen wurde, empfahl dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung dringend, Bebauungspläne zu erstellen und den Prozess, den die Initiative anstieß, ernst zu nehmen. Mit den knapp 700 Unterstützern der Initiative planten wir eigentlich, ein Bürgerbegehren einzureichen. Allerdings hielt uns das Prozedere des Bürgerbegehrens zum Thema Photovoltaik mit den Kosten für die Stadt ab. Dieses Geld wollten wir stattdessen in einen ständigen Gestaltungsbeirat investiert sehen, was leider mit Ausnahme der IGEL-Fraktion im Gemeinderat abgelehnt wurde. Mit der Vereinsgründung haben wir uns breiter aufgestellt und mehr vernetzt - hinsichtlich der Verantwortlichkeiten, der Entscheidungsfindung, der Vertretung nach außen, haben eine gewisse finanzielle Ausstattung für die Öffentlichkeitsarbeit gewonnen und können auch Mitteilungen im Amtsblatt veröffentlichen.
Und das Ziel? Ist es gleich geblieben?
Der Bürgerverein verfolgt weiterhin die gleichen Ziele wie die Initiative: Modernes Bauen im Einklang mit historisch erhaltenswerten Gebäuden, was zum Beispiel die Dachform und Giebel betrifft, auch nachbarschaftsverträgliche und behutsame Nachverdichtung zum Beispiel in Bezug auf die Geschosse und Firsthöhe. Im Übrigen ist die Zauberlösung Nachverdichtung heute keine mehr, denn jede Stadt und jedes Quartier braucht laut Städtebauexperten eine eigene Strategie. Das Schaffen von Freiräumen und Grünzonen zur Begegnung ist wichtig in einer Innenstadt, die durchaus dicht aber nicht beengt bebaut sein soll unter Beibehaltung von Plätzen und Gassen. Auch sollte der Denkmalschutz für weitere historische Gebäude/ Gebäudekomplexe wie die Maierhöfe, das Maier-Gästehaus, die Zehntscheuer und den Alenberg forciert werden. Für sinnvoll halten wir auch die Ausübung des städtischen Vorkaufsrechts in der Innenstadt, um beispielsweise Plätze zu schaffen und zu gestalten. Aber auch Eigentümern von erhaltenswerten alten Gebäuden die Renovierung schmackhaft zu machen durch entsprechende Fördertöpfe und dadurch eine Revitalisierung und Aufwertung von Stadtteilen zu erreichen.
Wie viele Mitglieder hat der Bürgerverein?
Etwa 30. Genau wissen wir es noch nicht, da noch nicht alle angekündigten Beitrittsformulare zurück sind.
Wie geht es mit diesem nun weiter?
Wir treffen uns monatlich zur Mitgliederversammlung, nach Bedarf im Vorstand und in größeren Abständen gibt es eine Plenumsversammlung zusammen mit den Unterstützern der Bürgerinitiative. Zur Bereicherung unserer Arbeit suchen wir noch Beisitzer, die zum Beispiel aus der Baubranche, aus der Kommunalverwaltung, aus dem Rechtsbereich kommen, aus der Wirtschaft und Politik oder auch Personen, die sich in anderen Belangen für Laichingen einsetzen. Wir planen, nach Corona auch öffentliche Veranstaltungen mit Experten zur Stadtentwicklung zu veranstalten.
Sie nennen sich Bürgerverein Innenstadtentwicklung Laichingen. Wie definieren Sie „Innenstadt", sprich: Für welchen Bereich haben Sie als Bürgerverein ein Auge mit Blick auf lhre Ziele?
Innenstadt bedeutet für uns auf Laichingen und die Ortsteile bezogen immer der Stadt- oder Ortsbereich ohne Neubaugebiete wie Lindensteig und Henzenbuch, aber inklusive Stra.enzüge wie beispielsweise die Hindenburgstraße, Karlstraße und alte Wohnsiedlungen wie ,,Im Grübler" und der Bleichberg.
Wie und wo sollte sich Laichingena us Sicht des Bürgervereinsw eiter entwickeln?
Grundsätzlich muss auf kommunaler Ebene geklärt werden, ob sich Laichingen unbegrenzt, entsprechend der Nachfrage im Zuzug, oder bis zu einer gewissen Einwohnerzahl entwickeln soll. Damit verbunden ist dann die Ausweitung bestehender Baugebiete. Diese Entscheidung sollte mit Bürgerbeteiligung und externer Unterstützung erfolgen. Wichtig ist natürlich auch, die Lücken zu schließen. Innerstädtisch bedeutet dies, auch Wohnraum zu schaffen, der beispielsweise für junge Familien in der Miete oder im Erwerb erschwinglich ist, um eine demographische Durchmischung zu erreichen. Hier könnte die Kommune durch Ausübung ihres Vorkaufsrechts und im Zuge einer Stadtbildsatzung steuernd eingreifen, damit nicht nur Gewinn-maximierend gebaut wird, was dann eine Gewinnmaximierung bei Verkauf und Mieten zur Folge hat. Eine bestehende Stadtbildsatzung würde dann auch klare Vorgaben bezüglich der Bauweise machen, Dachform, Geschosse, Grenzabstände, aber auch die Gestaltung mit Grünzonen, Beibehaltung und Aufwertung der typischen Laichinger Winkel und kleinen Gassen. Für die Neubaugebiete wird zur Zeiteine große Vielfaltsmöglichkeit favorisiert, die natürlich immer auch Probleme in der Nachbarschaftsverträglichkeit und in der harmonischen Außenwirkung zur Folge hat. Auch hier wünschen wir uns mehr Diskussion auf kommunaler Ebene mit Bürger- und externer Expertenbeteiligung. Es fällt auch auf, dass im Industriegebiet viel Grund für einstöckige Gebäude verbraucht wird. Viel mehr als man den Menschen zugesteht. Auch hier in die Höhe zu gehen, wäre eine Herausforderung. Oder auf Discountern noch Wohngeschosse zu setzen. Dies sind Ideen, die in anderen Städten schon angedacht werden. Die Bebauung von Lücken in alten Baugebieten sollte unter der Prämisse von echter Nachbarschaftsverträglichkeit verfolgt werden. Durch die vielen alten, nicht erhaltenswürdigen Gebäude hat Laichingen die großartige Chance, ganze Quartiere neu zu planen, uralte und unseren jetzigen Bedürfnissen in keiner Weise genügenden Baulinien aufzubrechen und eine verdichtete, aber auch gleichzeitig freundliche und lebenswerte Bebauung zu realisieren. Gärten und Parks zur Erholung, als Lebensraum für Vögel, Kleintiere und Insekten gehören ebenso zu einer lebenswerten Innenstadt und gehören, wie die Corona-Pandemie deutlich zeigt, zu den Grundbedürfnissen der Menschen.
Vorgeschlagen, und dann vom Gemeinderat abgelehnt, war ein Gestaltungsbeirat. Worin sieht der Verein Vor-und Nachteile in diesem?
Nachteile sehen wir überhaupt nicht und die Vorteile liegen auf der Hand: Im Gestaltungsbeirat, um den es sich bei unserem Vorschlag handelt, werden in einem möglichst frühen Planungsstadium folgende Vorhaben behandelt: Einzelbauvorhaben, die wegen ihrer Standorte, ihres Umfeldes, ihrer Nutzung oder ihrer Größe oder wegen sonstiger Belange von herausragender stadtgestalterischer Bedeutung sind Städtebauliche Planungsprojekte von hoher Relevanz für die Stadtgestaltung Besonders zu gestaltende Situationen, Stadträume und Grünanlagen sowie wichtige Wegebeziehungen, wie Einkaufszonen und größere Verkehrsberuhigungsmaßnahmen Verkehrsbauten von großer Bedeutung, wie zum Beispiel Brücken Sonstige stadtgestalterisch relevante Maßnahmen
Die Stadt möchte mit Blick auf die Stadtentwicklung die Bürger beteiligen. Corona hat manches dazu erschwert. Die Stadt versucht dennoch, diese Beteiligung zu erreichen und zwar online sowie teilweise auch schriftlich. Aus Ihrer Sicht eine gute Möglichkeit?
Eine Fragebogenaktion mit mehr Themenbereichen und vor allem mehr Antwortmöglichkeiten bringt deutlich repräsentativere Ergebnisse. Solch ein Fragebogen kann schriftlich oder digital ausgefüllt werden. Ein sehr gutes Beispiel hat hier beispielsweise die Stadt Weilheim/Teck 2020 im Zuge der Bürgerbefragung zum Stadtentwicklungskonzept vorgelegt. Damit hätte man auch schon die notwendige Befragung der Eigentümer im potentiellen Gebiet für das Landessanierungsprogramm erledigt gehabt.
Sie bemängeln, dass Ihnen seitens der Verwaltung und der politischen Gremien die Transparenz fehlt. Was meinen Sie damit und welchen Vorschlag haben Sie, um aus Ihrer Sicht mehr Transparenz zu schaffen?
Die Bauausschuss-Mitglieder sollten rechtzeitig im Vorfeld ihrer Entscheidung Pläne der Bauvorhaben erhalten und vor allem auch über Nachbarschaftseinwände informiert werden, damit sie sich direkt mit dem Umfeld des Bauvorhabens beschäftigen können.
Abschließend: Was wünscht sich der Verein mit Blick auf Wohnen, Leben und Bauen für die Stadt?
Vieles haben wir bereits gesagt, aber abschließend noch etwas zum kulturellen Leben in Laichingen: Zu den oben genannten Planungen für eine liebenswerte und unverwechselbare Stadt wünschen wir uns, so wie viele andere Bürger auch, Orte für Kulturmöglichkeiten, zum Beispiel eine Kulturhalle, die schon seit 30 Jahren auf der Wunschliste der Bürger steht. Für Tanz- und Theaterveranstaltungen, schulische und kommunale Veranstaltungen. Für kleinere kulturelle Begegnungen wäre aus unserer Sicht auch das Maierhöfe-Zehntscheuer-Areal ein ganz besonderer Ort in Laichingen.
2021/2022: Land fördert Gestaltungsbeiräte
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbaufö rdert auch in den Jahren 2021 und 2022 den Einsatz von Gestaltungsbeiräten in baden-württembergischen Kommunen. Finanzielle Unterstützung zur Neueinrichtung eines Gestaltungsbeirats in Höhe von insgesamt 40 000 Euro erhalten die Städte Heilbronn und Langenau. Mit insgesamt 100 000 Euro wird laut Mitteilung die Verstetigung der Beiräte in Blaustein,F riedrichshafen, Heidelberg, Mühlacker und Öhringen gefördert. Zudem wird die begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu den Gestaltungsbeirätenin Freiburg im Breisgau, Karlsruhe, Ludwigsburg und Pforzheim mit gut 40 000 Euro gefördert. „Die Pandemie schärft vielerorts das Bild, das wir von unserer gebauten Umwelt wahrnehmen, und verdeutlicht uns, wie wichtig gerade attraktive Wohnungen, Stadtquartiere und öffentliche Räume sind. Um bei Planungen und Bauvorhaben gemeinsam die besten städtebaulichen und architektonischen Lösungen für die aktuellen Fragestellungenv or Ort zu finden, unterstützen wir auch in den kommenden Jahren die Einrichtung kommunaler Gestaltungsbeiräte", sagte Wirtschafts-und Wohnungsbauministerin Dr. Nicole Hoffmeister- Kraut (CDU) . .,Die Beiräte unterstützen die zukunftsfähige Weiterentwicklung unserer Städte und Gemeinden. Sie leisten so einen wichtigen Beitrag zu qualitätsvollen Wohn-und Arbeitsorten im Land und zur Schaffung von Wohnraum", betonte die Ministerin. In Baden-Württemberg wurden bereits 43 kommunale Gestaltungsbeiräte eingerichtet. 33 Städte und Gemeinden haben seit 2016 eine Förderung des Landes erhalten. Ein Gestaltungsbeirat ist ein unabhängig beratendes Sachverständigengremium mit Mitgliedern unterschiedlicher bau-und planungsverbundeneDr isziplinen. Die Expertinnen und Experten beraten vor Ort über städtebaulich und bau- oder lokalgeschichtlich bedeutende BauvorhabenS. ie tragen Sorge dafür, dass alle Aspekte und Interessen des Planens und Bauens berücksichtigt und im Sinne einer guten Baukultur untereinander abgestimmt werden. (msc)
Der Bauausschuss tagt
Die Mitglieder des Bauausschusses in Laichingen kommen zur nächsten öffentlichen Sitzung zusammen - am Mittwoch, 16. Dezember, ab 18.30 Uhr in der Kornberghallein Suppingen. Teilnehmer und Gäste dieser Sitzung müssen, so die Stadtverwaltung, die notwendigen Hygieneregeln - Einhaltung des Mindestabstandes, Tragen eines Mund-NasenSchutzes und die Handdesinfektion - beachten. (msc)